Ruine Weidelsburg

Transskript zum Podcast Ruine Weidelsburg

Vor dir liegt das sanfte Hügelland Nordhessens. Die Wälder wirken wie ein tiefgrünes, endloses Meer. In der Ferne gehen sie in Hügel und offene Felder über. Je nach Tageszeit tanzen Sonnenstrahlen über den Baumwipfeln. Oder Nebel hüllt die Täler in geheimnisvolles Grau.

Von der Burg hast du einen beeindruckenden Blick nach Osten. Direkt darunter liegt das kleine Dorf Ippinghausen. Es schmiegt sich in ein idyllisches Flusstal. Weiter östlich breitet sich die Stadt Wolfhagen aus. Ihre markanten Bauwerke und Dächer sind gut zu erkennen. Am Horizont ragt der Dörnberg empor. Mit fast 600 Metern prägt er die Landschaft des Habichtwalds.

Ich stehe an der Weidelsburg, der größten Burgruine Nordhessens. Gelegen im Landkreis Kassel, nahe der Stadt Wolfhagen.

Die Weidelsburg thront auf einem Basaltkegel und markierte einst die Grenze zwischen den Landgrafen von Hessen und den Erzbischöfen von Mainz. Erstmals Anfang des 12. Jahrhunderts erwähnt, schützte sie die hessischen Ländereien und das Wolfhagener Land. Zudem sicherte sie die wichtigen Handelswege zwischen Frankfurt und Bremen.

Die Geschichte der Besitzer der wichtigen Burg war chaotisch.

Zunächst im Besitz der Grafen von Naumburg, dann an Mainz verkauft, von den Hessen zerstört, dann von Mainz an Hessen abgetreten. Durch den hessischen Landgrafen und den Grafen von Waldeck wieder aufgebaut.

Der Wiederaufbau wurde dann, nach Protest der Mainzer, gestoppt. Schließlich wieder im Besitz der Mainzer.

Und anschließend… du wirst es erraten… wieder an die Hessen.

In der Region spielten drei wichtige Mächte eine Rolle:

Zuerst die Landgrafschaft Hessen: Landgraf Hermann II., genannt „der Gelehrte“, regierte von 1376 bis 1413. In seiner Zeit gab es Streit im Land, aber auch Gebietsgewinne. Hermann wollte Hessen stärker und einflussreicher machen.

Dann das Erzbistum Mainz: Als wichtige Kirche und Herrschaft war Mainz oft ein Gegner von Hessen. Beide wollten in der Region das Sagen haben. Das führte immer wieder zu Streit und Kämpfen.

Und die Grafschaft Waldeck: Dieses kleine Gebiet lag nördlich der Weidelsburg. Waldeck geriet oft zwischen die Fronten von Hessen und Mainz. Die Grafen mussten klug handeln, um unabhängig zu bleiben.
Von 1427 bis 1433 kam es zum offenen Kampf: dem Mainzisch-Hessischen Krieg.
Diese Machtkämpfe haben die Region bis heute geprägt!

„Herr von Dalwigk, die Mauern wachsen schnell. Wenn der Winter gnädig ist, haben wir die erste Wehrmauer bis zum Herbst hochgezogen.“

„Schneller! Unser Landesherr duldet keinen Aufschub. Wenn wir die Grenze halten wollen, müssen diese Mauern Feinde fernhalten. Ich will sie stark genug, um einen Rammbock abzuhalten!“

„Doch die Männer klagen über zu wenig Brot…“

„Dann back mehr! Du denkst, die Mainzer warten, bis wir satt sind? Los, an die Arbeit!“

So oder so ähnlich mag es geklungen haben, als um 1380 die Weidelsburg wuchs.

Harte Zeiten, harte Männer – und ein Wettlauf gegen drohende Fehden.

Damals entstand die Grundstruktur, wie wir sie heute noch vorfinden: Zwei Haupttürme, Ringmauern und Wirtschaftsgebäuden.

Wie lief eigentlich ein Angriff auf eine Burg damals ab?

Versetzen wir uns zurück ins Jahr 1402.
Ein Angriff im Krieg zwischen Hessen und Mainz

Es war ein kalter Morgen im Herbst des Jahres 1402, als sich die Truppen des Erzbistums Mainz unter der Führung von Erzbischof Johann II. vor der Weidelsburg sammelten. Der Krieg zwischen Hessen und Mainz war in vollem Gange, und die Weidelsburg, ein wichtiger strategischer Stützpunkt im nordhessischen Land, war zum Ziel der Mainzer geworden.

Auf den umliegenden Feldern lagerte ein Heer von über 600 Mann. Neben Rittern und Knechten waren zahlreiche Steinhauer und Artilleristen dabei, die eine Neuheit in der Kriegsführung mit sich führten: Steinbüchsen – frühe Kanonen, die schwere Steinkugeln verschießen konnten. Diese Waffen, auf gewaltigen Balkenkonstruktionen montiert und mit Ochsen zur Burg gezogen, sollten die massiven Mauern erschüttern. Neben den Kanonen standen auch traditionelle Waffen bereit: Armbrüste, Langbogen, Hellebarden, Schwerter und Schilde.

Erster Tag der Belagerung: Aufstellung und Einschüchterung

Der Angriff begann mit einer Machtdemonstration. Trompeten erklangen, und das Heerlager stellte sich in Formation. Erzbischof Johann ließ eine Kapitulation fordern. Doch Ritter Heinrich von Falkenberg, Burgherr der Weidelsburg, lehnte ab: „Diese Mauern sind stark, unser Mut stärker. Wir geben nicht kampflos auf!“

Die Mainzer begannen daraufhin mit dem Beschuss. Steinbüchsen feuerten mit dumpfem Knall ihre schweren Steinkugeln gegen die Ringmauer. Staub und Steinbrocken flogen durch die Luft, doch die Mauern hielten zunächst stand. Die Verteidiger antworteten mit Armbrustsalven und Steinen, die von den Zinnen herabgeworfen wurden.

Zweiter und Dritter Tag: Feuer und Eisen

Am zweiten Tag wechselten die Angreifer ihre Taktik. Mit Brandgeschossen, gefüllt mit Pech und Schwefel, versuchten sie, die hölzernen Wehrgänge und Fachwerkbauten innerhalb der Burg in Brand zu setzen. Bald loderten Flammen in der Vorburg, dichter Rauch zog über die Mauern. Doch die Burgbewohner, vorbereitet auf solche Angriffe, hatten Wassergruben und Sand bereitgestellt. Unter der Leitung von Falkenbergs Frau, Margarete, löschten Frauen und Kinder die Brände tapfer.

Die Mainzer setzten ihre Steinbüchsen weiter ein. Eine Steinkugel traf den Turm an der Nordseite, ließ Mauersteine herabstürzen und riss eine Bresche. Sofort befahl Falkenberg, die Lücke mit Fässern und Holzbalken zu verstärken. Von den Schlüsselschießscharten aus feuerten Verteidiger mit Hakenbüchsen auf die Angreifer. Diese frühen Handfeuerwaffen durchschlugen die leichten Rüstungen vieler Feinde, auch wenn ihr Nachladen langsam war.

Vierter Tag: Unterminierung und Gegenwehr

Die Mainzer begannen, einen Tunnel unter die Mauer zu graben. Doch die Burgbewohner hörten das Klopfen unter der Erde. Falkenberg ließ einen Gegenstollen graben. Als sich die Gänge trafen, kam es zu einem unterirdischen Handgemenge. Mit Wasser, Urin und brennenden Stoffen versuchten die Verteidiger, die Feinde zu vertreiben. Schließlich stürzte der Tunnel ein – auf beiden Seiten forderte dies Opfer.

Fünfter Tag: Letzter Sturm und Rückzug

Nach fünf Tagen heftiger Belagerung, brennender Gebäude und zahlloser Steinwürfe waren die Vorräte in der Burg knapp. Angst vor Seuchen machte sich breit, da tote Pferde und verwundete Männer kaum versorgt werden konnten. Doch auch die Angreifer waren erschöpft. Ihre Steinkugeln gingen zur Neige, und die Verluste durch Verteidigungsmaßnahmen waren hoch.

Am Morgen des sechsten Tages befahl Erzbischof Johann den letzten Sturm. Leitern wurden angelegt, und unter dem Schutz von Schilden stürmten die Mainzer Männer heran.

Doch heißes Öl, herabgeschütteter ungelöschter Kalk und ein letztes Aufgebot von Armbrustschützen wehrten sie ab. Die Verluste der Angreifer waren hoch, der Erfolg blieb aus.

Am Abend zog sich das Heer des Erzbistums zurück. Die Weidelsburg war schwer beschädigt, Rauch stieg aus verkohlten Balken, doch sie war nicht gefallen. Ritter Falkenberg stand mit blutverschmiertem Wams auf der Mauer. „Wir leben noch. Und solange wir stehen, fällt diese Burg nicht.“

Nach der Belagerung wurden die Schäden begutachtet. Große Teile der Wehrgänge waren verbrannt, Mauerpartien eingestürzt. Doch die Verteidiger hatten wertvolle Zeit gewonnen. In den folgenden Jahren wurde die Burg zu einer wehrhaften Festung ausgebaut – mit stärkeren Mauern, neuen Schießscharten und besseren Verteidigungsanlagen.

Der Angriff war ein Beweis dafür, wie sich die Kriegsführung im Mittelalter wandelte – von Schwert und Schild zu Feuer und Pulver. Doch trotz aller neuen Waffen blieb der Mut der Verteidiger oft entscheidend.

Von einem anderen Kampf erzählt noch heute die Sage der „Weibertreue“.

„Mein Liebster… der Landgraf lässt uns wählen: Entweder wir ergeben uns, oder sie brennen alles nieder.“

„Ergeben? Niemals… Aber ich kann nicht mehr kämpfen, Agnes. Es ist vorbei.“

„Dann werde ich dich retten. Sie erlauben uns Frauen den freien Abzug mit dem, was wir tragen können. Du bist, was ich am meisten liebe.“

„Agnes, du kannst mich nicht… Das ist Wahnsinn!“

„Still! Lehn dich auf meine Schultern.“ (Keuchend stemmt sie ihn auf den Rücken)

Reinhard von Dalwigk hatte zu hoch gepokert. Als Amtmann auf der Weidelsburg sollte seine Treue dem Erzbistum Mainz gelten, dem die Burg inzwischen gehörte. Doch er verfolgte vor allem eigene Interessen. Die Lehnsherren verloren das Vertrauen in ihn. Von Dalwigk plünderte Dörfer sowohl des hessischen Landesherren als auch des Mainzer Erzbischofs. Reinhard war inzwischen als „Schrecken des Hessenlandes“ bekannt.

Schließlich war das Maß voll. Mainz und Hessen schmiedeten eine Allianz gegen ihn. 1448 standen dann die Truppen des Landgrafen Ludwig von Hessen vor der Burg.

Die Lage der Burg war aussichtslos, die Vorräte neigten sich dem Ende zu, und die Verteidiger wussten, dass die Mauern nicht ewig standhalten würden.

Doch Landgraf Ludwig zeigte eine ungewöhnliche Gnade: Er gewährte den Frauen der Burg freien Abzug. Sie durften mitnehmen, was ihnen am wertvollsten war. Was wie eine barmherzige Geste wirkte, wurde zur Grundlage einer bis heute erzählten Sage der „Weibertreue“.

Die Frauen, allen voran Agnes von Dalwigk, fassten einen mutigen Entschluss. Anstatt Wertgegenstände zu tragen, hoben sie ihre Ehemänner und Väter auf die Schultern und trugen sie hinaus in die Freiheit.

Diese unerwartete Wendung erstaunte nicht nur die Belagerer, sondern rührte auch Landgraf Ludwig. Beeindruckt von der Loyalität und dem Einfallsreichtum der Frauen, hielt er sein Versprechen und ließ sie ziehen. So wurden durch Mut und Liebe Leben gerettet, wo Schwerter versagt hätten.

Ob es sich 1448 so zugetragen hat? Wer weiß.

Aber diese Geschichte der Weibertreue wurde Teil der Legende der Weidelsburg – ein Zeichen von Liebe und List.

Ab dem 15. und 16. Jahrhundert veränderten sich die militärischen und gesellschaftlichen Anforderungen in Europa grundlegend, was auch Auswirkungen auf Burgen wie die Weidelsburg hatte.

Diese Veränderungen führten dazu, dass viele Burgen ihre ursprüngliche Schutzfunktion verloren und zunehmend verfielen oder zu Wohnschlössern umgebaut wurden.

Mit dem Einsatz von Feuerwaffen und Belagerungsgeschützen waren dicke Burgmauern nicht mehr unüberwindbar.

Auch die Weidelsburg konnte dem Artilleriebeschuss nicht standhalten und verlor an strategischer Bedeutung.

Die Macht verlagerte sich von lokalen Fürsten zu stärkeren Monarchien und zentralisierten Herrschaften.

Fehden zwischen Adelsfamilien wurden seltener, wodurch der Bedarf an Wehrburgen sank.

Als Grenzfestung zwischen dem Landgrafentum Hessen und dem Erzbistum Mainz verlor sie mit dem Rückgang der Territorialkonflikte ihre Bedeutung.

Der Adel zog in repräsentative Schlösser um, die Bequemlichkeit und Prunk boten.
Große Säle, prächtige Gärten und dekorative Fassaden waren wichtiger als militärischer Schutz.

Sie wurde nicht zu einem Schloss umgebaut und verfiel zunehmend, da ihre Verteidigungsfunktion überholt war.

Viele Burgen wurden abgetragen oder in Renaissanceschlösser umgewandelt.
Die Weidelsburg blieb hingegen eine Ruine und wurde nicht modernisiert.

Auch wenn die Burg im 16. Jahrhundert ihre Verteidigungsfunktion verloren hatte, spielte sie im Dreißigjährigen Krieg noch eine Rolle als Zufluchtsort, bevor sie endgültig verfiel.

„Sieh nur, wie der Putz von den Wänden bröckelt… Einst hielten hier Ritter Hof.“

„Jetzt? Nur Ratten und Geister. Hm… vielleicht kann ich die Steine verkaufen.“

„Verkaufen? Dies ist ein Ort voller Geschichte! Hier wurde Blut vergossen, Eide geschworen…“

„Eide? Die Leute wollen heute Münzen, keine Märchen.“

Nach Jahrhunderten des Glanzes geriet die Weidelsburg in Vergessenheit. Steine wurden geraubt, Dächer stürzten ein – doch die Legenden lebten weiter. Noch heute findest du ihre Steine in Gebäuden der umliegenden Orte.

Rund um die Burg ist der „Eco Pfad Archäologie“ entstanden. Eine spannende Zeitreise ins Mittelalter. Auf dem Weg erklären Infotafeln anschaulich das Leben vergangener Zeiten. Du kannst zwischen einer kürzeren Tour durch Naumburg oder einer längeren Wanderung zur Weidelsburg wählen.

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